Nutzpflanzen spielen eine wesentliche Rolle bei der Produktion von Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen. Sie sind von zentraler Bedeutung für unsere Gesellschaft. Die Produktion von Nutzpflanzen steht derzeit aber vor mehreren Herausforderungen: Die wachsende Weltbevölkerung benötigt mehr Nahrung und gleichzeitig mehr erneuerbare Ressourcen für Non-Food-Produkte wie zum Beispiel Kraftstoff. Deshalb müssen wir von 2010 bis 2050 so viel Biomasse produzieren, wie seit Beginn der Menschheit – und dies auf nachhaltige Weise. Jedoch sind die dafür verfügbare Ackerfläche ebenso wie einige von den Pflanzen benötigten Nährstoffe begrenzt. Außerdem spüren wir bereits negative Auswirkungen des Klimawandels, der auch eine Weiterführung der bisherigen Agrarproduktion erschweren wird. Weiterhin sollen unerwünschte Effekte der Agrarproduktion auf das Ökosystem, wie sie beispielsweise durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Düngern entstehen, reduziert und eine nachhaltigere Bewirtschaftung ermöglicht werden.
Der Exzellenzcluster „PhenoRob – Robotik und Phänotypisierung für Nachhaltige Nutzpflanzenproduktion“ an der Universität Bonn nutzt einen technologiegetriebenen und disziplinübergreifenden Ansatz, um diese drängenden realen Probleme zu lösen und ist weltweit führend in der Forschung in den Bereichen der Robotik und Phänotypisierung. Die Vision des Clusters ist es, unter der Führung der wissenschaftlichen Sprecher Prof. Dr. Heiner Kuhlmann und Prof. Dr. Cyrill Stachniss, eine produktivere, ressourceneffizientere und nachhaltigere Nutzpflanzenproduktion zu ermöglichen, indem die Züchtung und das landwirtschaftliche Management durch die Entwicklung und den Einsatz neuer Technologien optimiert werden. Das PhenoRob-Team ist interdisziplinär aufgestellt und kommt aus den Bereichen Informatik, Geodäsie, Robotik, Pflanzenwissenschaften, Bodenkunde, Agrarökonomie und Umweltwissenschaften. Am Cluster sind über 40 Professorinnen und Professoren aus der Landwirtschaftlichen sowie der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn beteiligt. Mehr als 70 Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler forschen in sechs Kernprojekten zu Themen rund um Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen sowie deren Nutzen für eine nachhaltigere Landwirtschaft. PhenoRob ist der einzige von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Exzellenzcluster im Bereich Agrarwissenschaften in Deutschland.
Wie der Einsatz von Künstlicher Intelligenz die Nutzpflanzenproduktion revolutionieren kann
Um die Ernteerträge zu steigern und gleichzeitig die Umweltbelastung in wirtschaftlich vertretbarer Weise zu minimieren, sind drastische Veränderungen in der Art und Weise, wie wir Pflanzen produzieren und erhebliche Fortschritte in unserem wissenschaftlichen Verständnis erforderlich. Dafür werden in PhenoRob disziplinübergreifende Methoden aus den Bereichen der Künstlichen Intelligenz und des Maschinellen Lernens genutzt. Mit unterschiedlichen Sensoren sowie Bodenrobotern und Drohnen überwachen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wesentliche Aspekte der Nutzpflanzenproduktion.
Die in den Projekten genutzten verschiedenen Monitoring-Aktivitäten liefern große Mengen an heterogenen Daten über Pflanzen, Pflanzenbestände, Boden und Umwelt. Die Forscherinnen und Forscher wenden an, um die großen Mengen an erfassten Pflanzendaten zu analysieren. Auf diese Weise kann das Verständnis der KI und der Roboter für die Prozesse des Pflanzenwachstums erweitert werden, sodass diese die Zusammenhänge zwischen den In- und Outputs besser identifizieren können. Beispielsweise die Verbindung zwischen verschiedenen Wachstumsphasen und Stresseinflüssen auf die Entwicklung der Erträge.
Für eine Landwirtschaft der Zukunft: Zwei Kernprojekte als Beispiele für den Einsatz von KI und ML im Agrarsektor
Insgesamt sind im Exzellenzcluster sechs Kernprojekte verortet.
Dazu zählt unter anderem das Kernprojekt 4 „Autonomous In-Field Intervention“. Hier entwickeln die Forschenden autonome Feldroboter, die einzelne Unkräuter in Echtzeit auf dem Feld identifizieren können. Präzise robotergestützte Unkrautbekämpfung reduziert den Einsatz von Chemikalien wie Herbiziden, da Unkräuter gezielt anstatt großflächig bekämpft werden können. Des Weiteren kann auch selektiv bestimmt werden, welches Unkraut zu welchem Zeitpunkt und wie bekämpft werden sollte. Die Identifizierung der Unkrautart mit modernen Lernalgorithmen, welche wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Pflanzenforschung mit neuen Methoden der Informatik verbinden, ermöglicht es dem Roboter, die optimale Methode zur Behandlung anzuwenden: Diese kann aus Chemikalien bestehen, aus einem thermischen oder mechanischen Eingriff, oder sogar ohne jeden Eingriff auskommen. Durch diese alternativen minimalinvasiven Interventionstechniken kann die Resistenz gegen Herbizide bei wichtigen Unkrautarten verhindert werden.
Ein weiteres Vorhaben im Kernprojekt 2 „Relevance Detection of Crop Features“ konzentriert sich auf die Identifikation bislang unbekannter Korrelationen zwischen Merkmalen, die die Entwicklung der Pflanze und damit auch den Ernteertrag beeinflussen. Im Mittelpunkt stehen die Wechselwirkungen zwischen der Pflanze und verschiedenen Arten von Pflanzenstress wie Krankheiten, Nährstoffmangel oder Trockenheit. Dabei werden Verbindung zwischen verschiedenen Wachstumsphasen und Stresseinflüssen auf die Entwicklung der Erträge untersucht. Da die Symptome von Nährstoffmangel an der Pflanze beispielsweise für das menschliche Auge häufig erst dann sichtbar sind, wenn die Pflanze bereits stark geschädigt ist, analysieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler systematisch eine Vielzahl von frühen, relevanten Nährstoffmangelerscheinungen und deren Erkennbarkeit in multispektralen Sensordaten. Dazu wird eine Reihe von Experimenten durchgeführt und der Zustand der Pflanzen überwacht, um eine große Anzahl von Bilddaten zu erhalten. Diese Daten werden genutzt, um neue Algorithmen zu entwickeln, die in der Lage sind, spezifische Nährstoffdefizite automatisch zu erkennen, vorherzusagen und von anderen Stressoren zu unterscheiden.